was macht a Nackerter im Hawelka“
– Georg Danzer
In fremden Städten kann ich mich nie überwinden, gleich die nächstbeste Gelegenheit zum Genießen kulinarischer Köstlichkeiten wahrzunehmen. Da steigt man aus der U-Bahn am Stephansplatz aus und ist hin- und hergerissen: gleich hier einen überteuerten Kaffee trinken oder erst ein paar Straßen weiter (wo er natürlich immer noch überteuert ist)? Das ist so ein blöder Zwiespalt: einerseits möchte man keine Ecke im Magen für etwas opfern, was einem vielleicht im Nachhinein als nicht so gut in Erinnerung bleibt. Andererseits möchte man auch auf keinen Fall etwas verpassen. Wie ich schon in Hongkong festgestellt habe, ist es also am besten, gleich zuzuschlagen. Ob man an gerade dieser kultigen Bar oder jenem gemütlichen Café noch einmal vorbeikommen wird, ist ungewiss. Also lieber gleich reingehen und mitnehmen, was geht.
In der Praxis gewinnt dann doch das Gefühl, dass immer noch eine Magenecke für unerwartete Köstlichkeiten frei zu halten ist, gegen die logische Einstellung des „alles-mitnehmen-was-geht“. Und so laufe ich regelmäßig mit knurrendem Magen durch die Städte dieser Welt und versuche abzuschätzen, wo es etwas wirklich Gutes zu Essen gibt. Wien macht es einem dabei wirklich nicht leicht: viele alteingesessene Cafés und Gasthäuser machen von außen einen sehr unauffälligen oder sogar abweisenden Eindruck und schnell ist man dran vorbeigelaufen.
So in etwa passierte es mir auch mit dem Café Leopold Hawelka in der Nähe des Stephansdoms. Normalerweise würde ich nirgendwo einkehren, wenn die Lokalität noch in der Nähe eines touristischen Hot-Spots, also in einer preislichen No-go-area liegt. Aber hier musste ich einfach reingehen, so abweisend sah der Laden von außen aus. Ausserdem saß ich schon in einem anderen Café Leopold, nämlich dem in Mumbai und war deshalb positiv vorbelastet. Drinnen im Hawelka wird man gleich von befrackten Obern empfangen und in einer schummerigen Ecke abgesetzt. Haben sich die Augen dann einmal an das Halbdunkel gewöhnt, erkennt man erst, wie klein dieser verwinkelte Raum eigentlich ist. Es ist so eng, dass man schnell unbeabsichtigterweise mit den Leuten vom Nachbartisch zu füßeln anfängt. Die Inneneinrichtung ist insofern originell, als dass sie seit 1945 nicht mehr verändert wurde, wie ich später gelesen habe. Dafür verkehrten hier wohl einmal früher sämtliche Querdenker und -dichter Österreichs, wälzten existenzialistische Gedanken und pflegten ansonsten ihre Raucherlungen. Nun ja, heute wohl nicht mehr.
Bei der Bestellung eines „Großen Braunen“ konnte ich noch unauffällig meine Herkunft verschleiern. Spätestens beim Ordern eines Apfelstrudels mit Schlagsahne hatte ich mich dann doch als Deutscher geoutet. Natürlich tat der Herr Ober zunächst so, als würde er „Schlagsahne“ nicht verstehen und zwang mich damit gleich zu einer nachgeschobenen Korrektur: „Schlagobers“ musste es natürlich heissen. Wie konnte ich nur.
Groß war der Braune leider nicht. Der Kaffee und auch der folgende Cappuccino passten in eine dieser flachen Kaffee-Tassen. Aber lecker waren sie beide! Und sehr stark. Ein deutsches Touristenpärchen neben mir spekulierte, woher dieser Geschmack nach Bodensatz im Kaffee wohl kommen mag… Mir selbst war es recht. Lieber einen starken Kaffee, der einem die Schuhe auszieht, als dieses labberige Gebräu von Starbucks & Co.
Eigentlich hätte ich noch bis Mitternacht dort sitzenbleiben sollen, um auf die (angeblich) irgendwann frisch gebackenen „Buchteln“ à la Josefine zu warten. Leider fadisierte mich der Kellner ein wenig und so beschloss ich, weiterzuziehen. Wer Buchteln, Topfenknödel und andere Teigspeisen schätzt, kann diese aber auch ohne weiteres selber herstellen, es gibt reichlich Rezepte im Netz.
Hier noch ein netter Artikel der Süddeutschen Zeitung zum Thema „Grantige Ober in Wien“: Mit Charme in den Kaffee gespuckt. Das erinnert mich doch spontan sehr an die Bedienungen in Alt-Sachsenhausen, dem Frankfurter Äppelwoi-Viertel.