Nicht alle Hexen fliegen in der Walpurgisnacht zum Brocken oder auf den Bocksberg. Einige feiern auch in ihrem Dorf und machen die Nacht zum Tag. Wir besuchten Bad Grund im Harz zum Feiern, Wandern und die Natur genießen.
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Warum ausgerechnet Bad Grund?
Angefangen hatte alles letztes Jahr (2023) mit einem Artikel im Magazin „Chrismon“, einer Zeitungsbeilage der FAZ. Dort wurde in aller Ausführlichkeit geschildert, wie die kleine Gemeinde Bad Grund jedes Jahr die Theateraufführung zur Walpurgisnacht organisiert und durchführt. Mehrere Dorfbewohner kamen zu Wort, vom griechischen Kneipenwirt bis zum ehemaligen Steiger, und jeder steuerte aus seiner Perspektive bei, womit eine kleine Gemeinde in einem heute sehr strukturschwachen Gebiet Deutschlands zu kämpfen hat. Den Griechen mit Diskussionsbedarf zum Thema Europa und den Steiger mit einer Träne im Auge wegen dem nicht abgebauten Erz haben wir dann auch selbst getroffen. Die glorreichen Zeiten der Erzbergwerke und der Bäderkultur sind jedenfalls längst vorbei. Die Schächte sind geschlossen und die Kurhotels sind entweder veraltet, verwaist oder beides. Noch fallen die leerstehenden Gebäude nicht auseinander, aber lange dürfte es nicht mehr dauern. Nebenbei stirbt auch noch der Wald – also nichts wie hin!
Theater zu Ehren von König Hübich
Für uns war der Magazinartikel jedenfalls der Auslöser, um Bad Grund zu bereisen. Also liebe Chrismon Redaktion, Danke für den Hinweis! Um es gleich vorweg zu nehmen: die Theateraufführung zur Walpurgisnacht auf den 1. Mai war so ziemlich das laienhaft Schrecklichste, was man sich auf einer Bühne nur vorstellen kann. Aber spielt das eine Rolle? Hier geht es eigentlich gar nicht so sehr um Zwergenkönig Hübich und die Hexen, deren Abenteuer jedes Jahr aufs Neue in Variationen aufgeführt werden. Hier geht es darum, wie man als kleine Dorfgemeinschaft etwas Großes auf die Beine stellt.
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Rund um das Theater finden verschiedene weitere Veranstaltungen statt, so dass auch die Kinder, die Dorfkapelle, die Jodler und natürlich die Pyromanen voll auf ihre Kosten kommen. Im Folgenden ein paar Eindrücke des Spektakels am Hübichenstein. Was man leider nicht sehen kann ist der umwerfende Duft von hektarweise Bärlauchpflanzen, die in voller Reife standen und die Gegend um Bad Grund in ein intensives Knoblaucharoma getaucht haben. Man sollte eigentlich schon deswegen zwei Wochen hier verbringen, um sich gratis für Bärlauchpesto einzudecken.
Ausnahmsweise, so meinten die Einheimischen, wäre dieses Jahr einmal sehr gutes Wetter gewesen. Normalerweise wäre es um diese Jahreszeit noch sehr kühl und nass. Der frisch gemulchte Boden vor dem Hübichenstein ließ die sonst üblichen Bedingungen erahnen. Für uns war es ideal, so konnten wir warm und trocken die Atmosphäre genießen und die nächsten beiden Tage bei strahlendem Sonnenschein Wandern gehen.
Wandern rund um Bad Grund
Wir waren drei Tage vor Ort, sind am Abend der Walpurgisnacht angereist und am dritten Tag wieder heimgefahren. Gleich am nächsten Morgen wollten wir den Rundweg um Bad Grund bewandern, die „König-Hübich-Route„. Es sind zwar nur ca. 10 Kilometer, aber auf dem Weg lagen so einige Highlights, die besucht werden wollten: die Iberger Tropfsteinhöhle und das Schachtfest Knesebeck, um nur zwei zu nennen. Wer zur Einstimmung ein paar Märchen rund um den Zwergenkönig Hübich lesen will, schaut hier vorbei.
Bei strahlendem Sonnenschein zogen wir also los und erfreuten uns an den von nun an immer wieder auftauchenden Hinweisschildern mit Zielen wie dem Schweinbraten, dem Teufelstal oder der Hilfe Gottes. Haufenweise Schautafeln dienen der Information und auch der Unterhaltung. Man lernt die eine oder andere Sage kennen oder liest Historisches über die Wasserwirtschaft im Harz. Man kann eigentlich ständig einen Abstecher nach links oder rechts der Route machen und findet immer wieder etwas Interessantes.
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Was man ebenfalls findet, so wie überall im Land, das sind die Forstschäden. Im Böhmerwald haben wir die abgestorbenen Bäume gesehen, in den Alpen, in Hessen und Rheinland-Pfalz kommen sie vor und jetzt hier im Harz natürlich auch. Ungewöhnlich ist das also keinesfalls, sondern eben die neue Normalität. Jahrzehntelang wurden Bäume in Monokulturen gepflanzt und wenig Rücksicht auf eine natürliche und damit widerstandsfähige Natur gelegt. Nun haben wir den Klimawandel und die Bäume (vor allem die Fichten) vertragen die Trockenheit nicht mehr. Schwache Bäume werden als Folge vom Borkenkäfer befallen und Schritt für Schritt ändert sich das Aussehen unserer Wälder.
Im Harz scheint man den Schuss zwar gehört zu haben, nur die Reaktion darauf hat uns doch sehr verwundert: zwar gibt es Teile des Waldes, die als Naturpark definiert sind und in denen man die Natur machen lässt, was sie will. Dies führt nach dem erfolgten Absterben vieler Bäume zu einer Verjüngung durch natürlich nachwachsende Bäume. Diese nützen den einheimischen Insekten und Vögeln und werden in einigen Jahrzehnten einen stabilen und gesunden Mischwald bilden. Hier kann man die Gründe dafür nachlesen.
Doch es gibt auch das Gegenteil, nur wenige Kilometer weiter in Richtung Clausthal: man forstet nach alter Väter Sitte die befallenen und geräumten Flächen wieder auf mit Nadelhölzern in Monokultur, die sich als nicht klimaresistent erwiesen haben. Wenn man Seiten wie „Die Wahrheit über das Harzer Waldsterben“ liest, wird einem schlecht vor lauter Lobbyismus. Wer mit dem Wald sein Geld verdienen will (Zitat: „Der Wirtschaftswald ist der bessere Nationalpark“), ist an einem nachhaltigen Umbau dieser Wälder natürlich nicht interessiert. Obwohl es in Hasselfelde ein bereits 30 Jahre währendes Experiment dazu gibt. Deshalb werden erneut Fichten per Hand gepflanzt, was das Zeug hält, um deren Holz irgendwann wieder verkaufen zu können. Dass ein Großteil der jungen Bäume aufgrund von Trockenheit schon jetzt nicht mehr anwächst, wie der MDR berichtete, sollte der Holzlobby zu denken geben. Der Borkenkäfer erledigt den Rest, aber er ist eben nicht die Ursache des Problems, sondern die Folge. Wie auch immer, im Harz brodelt es wie in einem Hexenkessel, was den richtigen Umgang mit dem Waldsterben angeht.
Die Iberger Tropfsteinhöhle
Zurück zur Wanderung. Unser erstes Ziel war die Iberger Tropfsteinhöhle am nordöstlichen Rand von Bad Grund. Hierbei handelt es sich um ein Großprojekt des Dorfes und des Landkreises und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen! Erst vor Kurzem wurde das neue Museumsgebäude fertig gestellt und dort erfährt man in einer Dauerausstellung viel über das Leben der ersten Höhlenmenschen in der Region und über die Entstehungsgeschichte dieser Region selbst. Natürlich kommt es nicht an die wirklich großen Museen mit ähnlichen Inhalten heran, wie z.B. das Keltenmuseum am Glauberg oder gar das Moesgaard Museum bei Aarhus. Dennoch, hier am Eingang der Iburger Tropfsteinhöhle marschiert man ausgehend vom Museumsgebäude erst einmal durch einen langen Tunnel in den Berg hinein (dort befindet sich ein Teil der Ausstellung), das hat schon etwas Einmaliges.
Dass man in der Tropfsteinhöhle mit dem Handy nicht fotografieren darf, da die entstehenden Ultraschallgeräusche angeblich die Fledermäuse verstören würden, haben wir dagegen für einen netten Gag gehalten. Zumal auf der Webseite im selben Atemzug der Urheberschutz auf eigene Inhalte erwähnt wird… Mikrofone eines Handys können tatsächlich Töne im Ultraschallbereich aufnehmen. Aber dass die Elektronik oder der Lautsprecher während dem Fotografieren nennenswerte Pegel von Tönen in diesem Bereich unkontrolliert abgibt, erscheint uns doch eher wie ein Märchen aus König Hübichs Reich.
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Die Führung ist jedenfalls sehr launig und unterhaltsam und nach einer kurzweiligen halben Stunde in der Tropfsteinhöhle hat man alles gesehen. Hinterher kann man sich noch im Hauptgebäude durch eine sehr real nachgebaute kleine Höhle hindurchquetschen und alle übrigen Ausstellungsdetails genießen, für die vor der Führung keine Zeit war. Und vor allem sollte man das sehr gute Café mit süßen und deftigen Speisen ansteuern, denn dieses alleine wäre schon einen Stopp wert gewesen!
Schachtfest im Bergbaumuseum Knesebeck
Rund um den 1. Mai ist im Harz eine Menge los, nicht nur was Hexen und Zwergenkönige angeht. Auch das ehemalige „Erzbergwerk Grund“ mit dem Bergbaumuseum Schachtanlage Knesebeck schiebt Sonderschichten ein. Abgesehen von Humptata, Bratwurst und dem Steigerlied (wir konnten es nach zwei Tagen Dauerbeschallung endlich singen) bot die Veranstaltung geführte Touren an, was sonst nur an wenigen Tagen der Woche möglich ist. Und wir hatten das unverschämte Glück, den guten Herrn Sturm aus dem Chrismon-Bericht als Führer zu bekommen. Der Mann kennt sich aus, denn er war bis zum Ende des Bergwerks 1992 hier als Steiger beschäftigt.
Vielleicht lag es an unserer Gruppe aus ehemals hier Beschäftigten und ihren Familien oder an unserer interessierten Fragerei, jedenfalls wurden aus der vorgesehenen halben Stunde ruckzuck zwei Stunden. Aber wenn ein Steiger erstmal ins Erzählen kommt, dann gibt es kein Halten! So viele Geschichten von unter Tage wollen erzählt werden: wie man die Schächte gräbt, wie man das Erz abbaut, wie man sicher wieder ans Tageslicht kommt. Und immer mit dabei der fassungslose Hinweis, dass dort unten noch 2 Millionen Tonnen Erz hätten abgebaut werden können, wenn die Preussag den Laden nicht 8 Jahre vor dem geplanten Ende stillgelegt hätte. Wir kennen das Bergbaumuseum von Bochum, die Schächte, Gruben und Zechen des Ruhrgebiets. Überall gab es gute Führungen, aber keine kam an Herrn Sturm aus Bad Grund heran!
Wanderung von Bad Grund nach Clausthal-Zellerfeld
Der erste Tag war vollgestopft mit Highlights, man hätte damit auch locker zwei Tage füllen können. Am zweiten Wandertag stand dagegen nur ein einziges Ziel an: Clausthal. Auch das waren wieder ca. 10 Kilometer, also eine reine Wanderzeit von vielleicht 3 Stunden. Man muss dazu sagen, dass wir sehr langsam sind und aufgrund von anwesenden Biologen und Pharmazeuten nie weiter als ein paar Hundert Meter kommen, ohne dass wieder eine Pflanze oder ein Insekt bestimmt werden muss.
Angekommen in Clausthal fiel uns natürlich sofort die himmelblaue Holzkirche ins Auge, ein seltener Anblick. Vorher liefen wir noch durch die Osterroder Straße, die mit sympathischen Motorradclubs (Motto: „Self Justice“) und Häusern von schlagenden Studentenverbindungen gehörig Eindruck hinterließ. Ab der Kirche wurde es wieder zivil mit Kopfsteinpflaster und netten Cafés.
Wenige Meter später stolperten wir schon gleich an der TU Clausthal vorbei mit ihrer permanenten Mineralien-Ausstellung. Wer jemals Gefühle für bunte Steine entwickelt hat, ist hier goldrichtig. Denn in dieser Ausstellung gibt es sie gleich tonnenweise! Wer in den kilometerlangen Vitrinenreihen mit Mineralien nicht das Richtige findet, muss auf dem falschen Planeten gelandet sein. Es gibt noch ein wenig Brimborium drumherum, aber das Herz von dat janze sind ganz klar die Mineralien. Als Kind schon habe ich zu Hause die Vitrine meines Vaters bestaunt. Hier nun konnte ich die altbekannten Buntsteine in einem sinnvollen Zusammenhang erleben. Das Bild gleich unten wirkt zwar etwas abschreckend, aber nicht alle Vitrinen bestanden zu 3/4 aus chemischen Formeln.
Nach dem Besuch von Clausthal hatten wir erstmal genug von allem und nahmen den direkten Bus zurück nach Bad Grund. Eine knappe halbe Stunde später waren wir wieder daheim und freuten uns darüber, dass immerhin noch drei Gaststätten im Dorf existierten, die offen hatten.