Wer Zeit hat und spontan ist, kann beim Segeln die tollsten Abenteuer erleben. Und so kam ich zu meiner ersten Segelerfahrung auf der Hochsee: einer Fahrt durch den Ärmelkanal und direkt im Anschluss die Überquerung der Biskaya.
Ok, ich komme mit, aber wer ist der Typ?
Manchmal erreichen einen schicksalhafte Anrufe, die dazu führen, dass man am übernächsten Tag auf einem unbekannten Boot mit einem unbekannten Skipper sitzt und eine größere Seereise vor sich hat.
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So geschah mir das kurz nach Corona im Sommer 2022. Wir waren wie üblich Ende Juni mit dem Fahrrad unterwegs auf Tour. Am Vorabend der Rückreise erreichte mich über einige Ecken im Hotel die Nachricht, dass ein Typ mit seinem neuen Boot einen Mitsegler suchte. Derjenige, der mir das schrieb, war schon mehr als 3 Ecken entfernt. Und bei dem, um den es ging, war es nicht mehr weit zu den 7 Ecken, um die man jeden Bürger dieser Welt angeblich kennt. Also gleich angerufen und besprochen, worum es geht: Michi (so will ich ihn hier einmal nennen) war seit ein paar Wochen unterwegs mit seinem neuen alten Alu-Boot, das er an der Schlei günstig erstanden hatte. 50 Fuß Aluminium, wenig gesegelt, Selbstausbau, Rentnerboot und wahrlich ein Schnäppchen. Bloß nach Portugal sollte es gelangen und das in allernächster Zeit im Frühsommer. Da kommen schon ein paar Seemeilen zusammen.
Die erste bunt zusammengewürfelte Crew war bereits in Holland von Bord gegangen, nachdem die Yacht dort in einen Hafen geschleppt werden musste. Ein Klassiker bei lange nicht genutzten Booten: Dieselpest. Aber Michi hat kurzerhand die Dieseltanks gereinigt und einige Wartungsarbeiten vollbracht und schon fuhr die Kiste wieder. Nur der Zeitplan war dahin und in Dieppe, an der französischen Kanalküste, verließ ihn der letzte verbleibende Mitsegler. In so einem Fall sind die modernen Kommunikationswege ein Segen, denn schnell waren alle in Frage kommenden Bekannten informiert und diese leiteten die Infos ebenfalls an alle in Frage kommenden Freunde weiter und voilà, schon hatte ich die Nachricht auf meinem Handy.
Michi ist ein Netter. Am Telefon und in Echt auch. Er hat mir nichts vorgemacht und die Geschichte so rübergebracht, wie sie nun mal passiert ist. Und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass ein Boot, das jahrelang nicht bewegt wird, plötzlich einige Zicken macht. Ich ging nach unserem Telefonat zwar davon aus, dass es noch einen Pool von verschiedenen Mitseglern geben würde. Aber nachgefragt habe ich nicht.
Michi wollte nach Portugal, nach Portimao. Er ist um die 60, war vor kurzem in Rente gegangen, hat Geld geerbt und so kam er zu dem Entschluss, die Kohle in ein Boot zu stecken und damit die nächsten Jahre finanziell zu bestreiten. Für seine Größe war der Kahn sehr günstig, da kann man nichts sagen. Warum Portimao – dazu muss man seinen Lebensweg verstehen. Er hat sich schon in jüngeren Jahren mit gemeinsamen Freunden dort unten den Aussteigertraum verwirklicht. Auf einem eigenen Grundstück haben sich die jungen Männer eine kleine Hütte gezimmert, aus der später ein Ferienhaus werden sollte. Wer Zeit hatte, konnte dort ungezwungen leben. Und hier wollte Michi nun seine letzte Bastion aufschlagen und dazu sollte ein eigenes Boot im Hafen gehören.
Dieppe liegt am Französischen Ärmelkanal
Samstagabend von der Geschichte gehört. Sonntag wieder zu hause gewesen und gleich das Zugticket nach Dieppe gebucht und die sieben Sachen in den Seesack geworfen. Übrigens der selbe wie für die Karibik 14 Jahre zuvor. Das Buchen von internationalen Zugverbindungen macht wirklich keinen Spaß über die Bahn-App, aber irgendwie gelang es mir. Gesegnet sei die Flexibilität, die ich mir zu dieser Zeit leisten konnte, sonst wäre es nichts geworden. Montag in den Zug gestiegen und abends Michi in Dieppe begrüßt.
Erste Verwunderung: da ist ja sonst niemand! Ich dachte, für einen Törn von 5-6 Tagen auf dem Atlantik müsste man schon ein paar mehr Matrosen schanghaien. Nun denn, Michi war entspannt. Er hätte dann noch extra etwas Brot eingekauft, das müsste reichen für die geplante Zeit, meinte er. Ich bestand auf ein bisschen zusätzliches Gemüse und ein paar andere Lebensmittel. Allein davon haben wir später zwei Tage gelebt, dank immer wieder aufwärmbarer Spaghetti-Sauce! Abends spülten wir die Vorfreude auf unsere Reise mit zwei überteuerten Bieren in der Hafenkneipe hinunter und ab ging es aufs Boot und in die Kojen.
Stabile 50 Fuß aus Aluminium
Große Yachten haben den Charme, dass einen nicht jede kleine Welle gleich aus dem Konzept wirft. Man sitzt höher, man hat mehr Segelfläche, mehr Motorleistung und allgemein das Gefühl, dass einem so schnell nichts passieren wird. Zumal Aluminium ein leichtes aber stabiles Material ist, das auch einen Zusammenstoß mit einem Container oder anderem Unrat auf See widerstehen wird. Was ich damals auf meinem Ausbildungstörn bei Gran Canaria gelernt hatte, galt aber auch hier: je größer das Boot, desto größer die Segel und auch alles andere! Die Kräfte sind um ein Vielfaches stärker als auf meiner damaligen Zelda mit ihren 27 Fuß.
Den Zustand des Boots konnte ich vom Steg aus nicht beurteilen, wie auch. Michis Vorgehensweise war im Prinzip „agil“, wie man es aus der Software-Entwicklung heutzutage kennt: man plant, soweit das irgendwie möglich ist, aber wenn etwas passiert, muss man eben die Prioritäten neu ordnen. Michi ist ein besonnener Typ und wenn etwas anfällt, dann überlegt er sich in Ruhe eine Lösung.
Wir fahren nonstop, oder wie?
Als ich meinen Seesack in die Koje warf, schlug mir gleich der Geruch von altem Diesel entgegen. Wie gesagt, beide Tanks mussten gereinigt werden und das geht selten in völliger Sauberkeit. In Kürze würde der Geruch aber verschwinden. Eigentlich hatte ich die Hoffnung, dass wir spätestens auf der Höhe von Brest vor dem Absprung über die Biskaya noch einmal an Land gehen würden. Das hätte eine sichere Törnplanung ermöglicht, indem ein aktueller Wetterbericht hätte eingeholt werden können. Aber Michi hatte es eilig und weit draußen auf dem Meer ist leider kein Handyempfang mehr möglich. Der Weg nach Südportugal ist lang und so wollte er keine Zeit verschwenden. Es sollte nonstop nach A Coruña gehen und danach mit wenigen Stopps direkt durch nach Portimao. Im Nachhinein betrachtet hätte ich hier Einspruch erheben sollen. Denn mit einem Stopp in Brest hätten wir das kommende Tiefdruckgebiet am südlichen Rand der Biskaya leicht erkennen können. Aber so sind wir die ersten gut 2 Tage bei Flaute unter Motor durch den Kanal getuckert. Und in das dicke Ende sind wir dann eben später mittenmang hineingefahren.
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Einsam wacht…
Es gibt eine Sache, die Nicht-Seglern nur schwer zu vermitteln ist: wenn man nonstop Tag und Nacht unterwegs ist, muss man nachts Wache halten. Man teilt die dunkle Zeit so ein, dass jeder abwechselnd Wache hält, während der andere schläft. Bei mehreren Crewmitgliedern ist das noch ganz komfortabel. Jeder leistet seine 2 oder 3 drei Stunden ab und legt sich dann wieder hin für den Rest der Nacht. Aber wie soll das gehen bei zwei Personen? Die Antwort ist leicht: das geht genauso, nur dass man sich eben nach jeder Wache abwechselt. Man bekommt also nachts nicht mehr als 3 Stunden Schlaf am Stück. Am Anfang hielten wir noch den 2 Stunden Rhythmus durch, aber damit kriegt man fast überhaupt keinen erholsamen Schlaf. Später wechselten wir auf 3 Stunden. Das war gut für den Schläfer, aber fatal für den Wachegänger und später Steuermann, der bei starkem Wind konzentriert steuern musste. Wem an dieser Stelle die heldenhaften Einhandsegler einfallen, dem sei gesagt, dass diese eine Selbststeueranlage besitzen. Daher besteht für sie die Herausforderung nicht so sehr im aktiven Steuern als vielmehr darin, während der Zeit von einigen Tagen geistesgegenwärtig zu bleiben trotz Schlafentzug.
Nachts will der Körper schlafen. Also muss man sich während einer Wache, bei der keine Tätigkeiten anfallen, diverse Tricks ausdenken, damit das nicht passiert. Für mich funktionierte es recht gut, häufig den Standort zu wechseln: Sitzbank mit Blick nach hinten (unter Autopilot), dann ans Steuer mit Blick nach vorne, dann unter Deck zur Kontrolle an den Radarschirm. Eingepickt ist man im Cockpit nachts sowieso immer. Wer hier wegen Dummheit über Bord ginge, um den wäre es geschehen. Das Spiel mit dem Radar war mein Favorit. Die Bedienung der neuesten Generation von Radargeräten ist denkbar einfach. Man kann den Entfernungsbereich verstellen und ein paar Kleinigkeiten feintunen und dann sieht man sehr schön, was sich im Bereich von ein paar Seemeilen um sein Boot herum so alles abspielt.
Aber letztendlich ist alles Interpretation. Sobald ein Radarecho auftaucht, geht das Raten los: ist es ein Fischerboot? Ein Frachter? Hat es ein AIS-Signal? Erst die Überprüfung draußen zeigt dann die Wahrheit und meistens waren es wirr herumfahrende Fischerboote, um die man doch lieber einen weiten Bogen schlägt. Der Puls kann einem schonmal hochgehen, wenn alle eigenen Ausweichmanöver nicht dazu führen, dass die stehende Peilung sich auflöst oder die Lichter grün-weiß-rot nicht verschwinden wollen. Man möchte auf hoher See nicht ansatzweise in die Reichweite einer Kollision kommen. Aber im Lauf der Zeit lernt man, die Echos und Lichter der Schiffe zu interpretieren und ihre Entfernung vom Radar auf die Realität zu übertragen. Zwei Seemeilen wirken nachts verdammt nahe, wenn da sonst nichts ist…
Zu Beginn war das Wetter ein Kinderspiel, kein Wind, keine Wellen, alles unter Motor und Autopilot. Nach 2 Tagen denkt man, das könnte ewig so weitergehen. Nachdem wir aber das Tiefsee Schelf am Anfang der Biskaya überquert hatten, zeigte der Atlantik so langsam sein wahres Gesicht. Der Wind frischte auf und die Wellen wuchsen von Stunde zu Stunde. Vollkommen normal, wie meine spätere Recherche zeigen sollte. Die hässlichen Tiefs mit reichlich Wind kommen immer vom südwestlichen Rand der Biskaya und tasten sich dann in Richtung Mitte vor. Da sie von den Weiten des Atlantiks eine üppige Anlauffläche mitbringen, erzeugen sie schon bei moderaten Windstärken eine sehr hohe Welle.
Der Motor qualmt, also rauf die Segel
Je höher der Seegang, desto schwerer hat es der Autopilot und auch der Schraube sind Grenzen gesetzt. Zwar besitzt diese Yacht einen kleinen LKW-Dieselmotor. Aber auch der ist nicht in der Lage, Wunder zu erzeugen. Als wir irgendwann den gequälten Klang des Motors nicht mehr ertragen konnten und die steigende Temperaturanzeige kritisch im Auge behielten, wurde uns klar, dass der Motor bald am Ende seiner Möglichkeiten angelangt war. Ich vertrat die Meinung, dass Segeln am Wind bei Bft 6-8 und viel Welle nicht das Klügste wäre. Geprägt von meiner kleinen Zelda hatte ich so etwas noch nie gewagt. Aber als es anfing zu Qualmen war klar, dass die Segel hoch müssen. Und siehe da, mit Groß und Vorsegel im gerefften Zustand pflügte sich unser Alu-Kahn souverän seinen Weg durch die Wellen! Das schreibt sich so leicht, aber „Wellen“ bedeutete in diesem Fall, dass man im Wellental absolut nichts mehr sah. Später habe ich anhand von historischen Wetterdaten recherchiert, dass wir es mit 6 Meter hohen Wellen zu tun hatten. Wer ein Einfamilienhaus besitzt, der möge einmal in Richtung zweites Obergeschoss peilen… das ist schon richtig hoch.
Leider habe ich mit Beginn des schlechten Wetters kaum noch Fotos gemacht. Oben sieht man eine Taube, die hier weit draußen auf unserem Boot eine Ruhepause gemacht hat. Bei etwa 7 Bft (die man auf dem Bild oben kein bisschen sieht) saß sie stundenlang im Schutz der Cockpitwand und hat Kräfte gesammelt. Wohin auch mit dem Foto-Handy, wenn es sicher aufgehoben sein soll? Am Körper ist es jedenfalls nicht sicher, wenn man durch die Gegend fliegt und nass wird es außerdem.
Statt Autopilot war jetzt also Handsteuerung angesagt, denn eine Windsteueranlage gab es leider nicht. Eingemummelt in Segelklamotten und eingeklippst am Steuerrad saßen wir nun abwechselnd da und halfen unserer Yacht, sich selbst zurecht zu finden. Ich glaube, wenn ich Reiter auf einem Pferd wäre, dann wäre es so ähnlich: man gibt zwar Impulse und dirigiert sein Pferd/Boot. Aber den eigentlichen Weg findet es selbst. Nach ein paar Stunden Übung war man in der Lage, per Fingerspitze und Antizipation die nächste Abweichung vorherzusehen und gleich gegenzusteuern. Aber eigentlich wusste die Yacht sehr gut selbst, wo es langging.
Segeln bei Königswetter auf der Biskaya, Tag und Nacht
Das liest sich so einfach, aber man möge dieses Steuerprozedere mal einen halben Tag lang durchgemacht haben. Bei uns dauerte es am Ende mehr als zwei ganze Tage im Schichtbetrieb. Plötzlich liegt die Yacht fast quert, weil der übermüdete Steuermann kurz nicht aufgepasst hat. Das führt wiederum zu einem elendigen Korrigieren des Kurses, bis der Kahn wieder fast von alleine segelt. Bei jeder Abweichung läuft man Gefahr, den schlafenden Kameraden aus der Koje zu werfen, vom Geschirr ganz zu schweigen. Wer rutscht schon gerne im Tiefschlaf von der Schulter eines Hauses herab? Und auch, wenn der andere wach ist und sich gerade aus Brot, Wurst und Senf eine Mahlzeit zubereitet: man will den Kameraden einfach nicht beim Essen quer durch die Kabine schleudern. Uns beiden ist das ein paar mal passiert. Man realisiert, dass ein Teller bei diesem Wellengang keine Funktion mehr hat. Ähnlich wie im Weltraum muss man sich schon selbst darum kümmern, dass die Einzelteile seiner Mahlzeit nicht durch die Gegend fliegen. Der beste Ort für Nahrungsmittel ist also entweder in der Hand, im Mund oder im Kühlschrank.
Dennoch ein Lob auf diese Yacht – hätte sie einen Windpilot, dann müsste sich niemand um sie kümmern. Sie hält Kurs, sie reagiert wie sie soll. Alles was sie erfordert, ist Aufmerksamkeit. Und die geht nach spätestens einem Tag mit 3-Stunden Schichten irgendwann flöten, auch wenn das Wetter tagsüber blauen Himmel und blaues Wasser bietet. Und noch schlimmer ist es nachts, wenn man den Wind zwar fühlt, aber die Wellen nicht mehr sieht. Was rauscht da von hinten an? Hoppla, nächstes Mal steuere ich lieber gleich dagegen, als von diesem Güterzug im Heck überrollt zu werden. Es ist wirklich äußerst kräftezehrend, alleine nach Kompass und nach Gefühl seine Yacht in Wind und Welle auszurichten. Die 3 Stunden vergehen zwar schnell, aber der Preis ist eine hohe Erschöpfung.
Zwei Tage im Wechsel alle 3 Stunden
Es gab ab dem dritten Tag, als uns der Sturm etwa in der Mitte der Biskaya einholte, durchaus auch sehr schöne Momente: wenn man frisch aus dem Powernapping kommt, direkt am Steuer sitzt und bei strahlendem Sonnenschein diese riesigen tiefblauen Wellen unter Segeln ausreitet. Es geht hinauf, es geht hinab. Das war majestätisch, das war geil, was kostet die Welt!
Nur irgendwann kommt man wieder zurück auf den Boden und stellt fest, dass man sich bei einem der Manöver ganz tüchtig die Rippen geprellt hat. Irgendwann bin ich wohl mal durchs Cockpit geflogen – oder war das beim Essen unter Deck? Und man realisiert, dass man es aufgrund der Aufregung und Anspannung, dem Schlafmangel und wegen dem Matsch im Kopf und den Schmerzen in der Brust nur noch mit regelmäßig eingeworfenen Ibuprofens aushält. Wer hat denn jemals mehr als zwei Tage im 3-Stunden Rhythmus verbracht, außer Labor-Ratten und Weltumseglern? Ich jedenfalls nicht. Es ging am Ende soweit, dass wir uns bei der relativ einfachen Einfahrt in den Hafen von Gijon in die Haare kriegten, weil der eine links um die Tonne herum wollte und der andere rechtsherum! Im Hafen war später alles frei doch für uns war es eine koordinative Meisterleistung, um dort anzulegen.
Es wird Gijon statt A Coruña
Das klassische Ziel einer jeden Überquerung der Biskaya von Nord nach Süd ist eigentlich A Coruña, welches im nordwestlichsten Zipfel von Spanien liegt. Da uns aber der Sturm von West nach Ost abdrängte, sind wir auf Gijon umgeschwenkt. So konnten wir bei halbem Wind weiter Segeln und kamen nur unwesentlich später an. Den letzten halben Tag verbrachten wir mit der Aussicht auf Landgang, da man die hohen Berge von Spanien schon sehen konnte. Und es war nass. Aber besser nass und bei Tageslicht unterwegs als trocken und nachts bei Sturmstärke.
In Seglerforen wird seit geraumer Zeit von Killerwalen berichtet, die mit Segelbooten vor der Küste von Spanien und Portugal „spielen“. Das geht für die Ruderblätter dieser Boote selten gut aus und einige Segler haben sicherlich Todesängste ausgestanden. An uns ging das Thema zum Glück vorbei und falls ein Wal uns verfolgt oder angeknabbert haben sollte, so haben wir das in geistiger Umnachtung eh nicht mitbekommen.
Nach Ankunft in Gijon fuhren wir erstmal zur Tankstelle und füllten die beiden Dieseltanks wieder auf. Danach tüddelten wir den Kahn irgendwo fest und sind erstmal Duschen gegangen. Mehr als ein Eimer für die Katzenwäsche am zweiten Tag war bei dieser Reise bis jetzt nicht drin gewesen. Dann was essen. Dann 20 Stunden schlafen. Ich glaube, Segler sollten besser jung sein.
Fazit: Segeln auf der Biskaya
Wenn ich nachträglich an diese Segelreise denke, habe ich gemischte Gefühle. Einerseits war es einfach die geilste Segelerfahrung, die ich jemals gemacht habe. 660 Seemeilen am Stück und davon immerhin die Hälfte gesegelt! Andererseits glaube ich, dass man eine solche Reise anders durchführen sollte. Möglicherweise ist Michi, der schon sehr viele Reisen über den Atlantik hinter sich gebracht hat, mittlerweile etwas unbedarft in der Vorbereitung. Es ist zwar noch immer gut gegangen, aber etwas mehr Puffer in Bezug auf Ausrüstung, Verpflegung und die verfügbaren Mitsegler wäre bestimmt nicht schlecht gewesen.
Denn zu zweit und ohne Selbststeueranlage segelt man einfach am Limit. Während ich das Boot durch haushohe Wellentäler gesteuert habe, ist Michi einmal vorne am Mast herumgeturnt und hat das riesige Segel mit der Hand gerefft. Ich rief ihm noch zur Motivation zu, wenn er jetzt über Bord ginge, dann wäre er für immer tot… das hat ihn nicht sonderlich beeindruckt. Aber mir war es in diesem Moment glasklar, dass es so sein würde. Alleine unter Segeln bei solch einem Wetter, da holt man keinen Menschen mehr an Bord. Man sieht ihn noch nicht einmal mehr inmitten des aufgewühlten Wassers.
Das andere Limit war der Schlafmangel. Wir beide wurde immer wortkarger und müder. Nach 3 Tagen sind natürlich alle Segelstories erzählt, aber auch die notwendige Kommunikation schrumpft zusammen auf ein Mindestmaß. Dazu kam, dass Michi sich nach zwei Tagen nicht mehr sehr fit gefühlt hat. Ob das an der immer unregelmäßigeren Ernährung lag oder an allgemeinem Unwohlsein, konnte ich nicht herausfinden. Aber ich war alarmiert. Wenn er ausfiel, müsste ich das Boot alleine über den Teich bringen. Nicht sehr erbaulich, aber zu schaffen. Um es kurz zu machen: noch nie habe ich so dermaßen im Jetzt gelebt wie in diesen 3 Tagen auf der Biskaya.
Finanziell war das Abenteuer nicht gerade günstig. Die Anreise per Bahn war noch das kleinere Übel. Aber in geistiger Umnachtung habe ich nach dem Tanken in Gijon zugestimmt, die Hälfte der Spritkosten zu bezahlen. Bei zwei riesigen Tanks, die einen LKW-Motor füttern mussten, machte das 600 Euro für Diesel allein für mich! Ich kann mir das heute nur noch so erklären, dass man nach 5 Tagen auf See solche Themen nicht mehr kritisch hinterfragt. Aber genau genommen hätte Michi seine Yacht ohne mich auf absehbare Zeit nicht über die Biskaya segeln können. Und „echtes“ Hand-gegen-Koje sieht solche üppigen Zahlungen an den Schiffseigner nicht vor. Es war zwar jeden Cent wert, aber gleichzeitig war es falsch. Viele Monate später wollte Michi mich motivieren, mal wieder mitzukommen. Der Wochenpreis für seine „Segelurlauber“ war mittlerweile enorm hoch. Ich habe dankend abgelehnt. Nicht zu vergessen sind die weiteren Kosten für meine damalige Rückreise. Denn von Gijon kommt man nur weg per Zug durch die Berge nach Leon. Von dort kann man dann über Madrid heim fliegen. Selten war eine Woche Segeln so teuer gewesen wie hier. Aber geil war’s schon.
Nach meinen letzten Infos hat Michi zwischendurch der „Rücken“ erwischt und er hat daraufhin einige Zeit in Deutschland bei guter medizinischer Versorgung verbracht. So ist das nämlich mit vielen Aussteigern: wenn es zwickt, kommen sie gerne zurück in Mutters Schoß… ich will das nicht schlechtreden, aber konsequent ist es nicht. Im letzten Sommer konnte er dann erstmals zahlende Mitsegler gewinnen und ist zwischen der Algarve und den Balearen unterwegs gewesen. Ich wünsche ihm jedenfalls viel Erfolg, auch wenn ich selbst nicht mehr dabei sein werde.