Wo kommt man im Sommer schnell hin, hat keine erdrückenden Temperaturen und die Preise sind noch in Ordnung? Unsere Wahl fiel auf den Böhmerwald in Tschechien.
Ganz schön frische Sommerfrische
Der Sommer 2023 sollte wieder einer von der verrückten Sorte sein. Nach drei Wochen wüstentrockenem Hochsommer mit über 30° folgten drei Wochen Dauerregen. Und genau in dieser Zeit Anfang August sollte unser Urlaub liegen. Anstatt ins überhitzte Spanien zu fahren, wollten wir die Sommerfrische erst im Böhmerwald, dann am Lipno Stausee (siehe mein Artikel) und später in Prag verbringen. Aber dass wir Tiefsttemperaturen von bis zu 6 Grad erleben würden, das war so nicht geplant.
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Der Böhmerwald ist bekannt als Kälteloch. Schaut man sich die Wetterkarte der Tagesschau einmal genauer an, so sieht man hier direkt an der Grenze zum Bayerischen Wald immer eine kleine, längliche Stelle mit viel dunkleren Farben als in der Umgebung. Im Vergleich zum Rhein-Main-Gebiet, von wo wir herkommen, kann man getrost 10° C abziehen. Die Landschaft steht hier auch im Hochsommer voll im Saft und die Wiesen platzen vor frischem Grün. Leider ist die Ursache für sattes Grün immer reichlich Niederschlag. Die über Westeuropa hinwegziehenden Tiefdruckgebiete regnen sich bei ihrer Ankunft im Bayerischen- und Böhmischen Wald ab und die vielen Niederschläge sorgen auch in heißen Sommern für eine kraftstrotzende Natur. Im Winter fällt deshalb auch zumeist reichlich Schnee, obwohl es nicht höher als 1.200 Meter hinaufgeht.
Kvilda (Außengefild)
Unser Reiseziel war Kvilda mitten im Böhmerwald, ein Ort mit jährlicher Durchschnittstemperatur von um die 4° C. Das mussten wir erst zweimal lesen, denn es lässt auf ziemlich kalte Winter und sehr frische Sommer schließen. Von Westen kommend nähert man sich dem Böhmerwald über Regensburg und fährt dann je nach Ziel „obenrum“ weiter über Zwiesel und Markt Eisenstein oder „untenrum“ über Freyung. Gegen Ende werden die Straßen nahezu einspurig, da trifft man nur noch auf wenige Touristen und einige Schmuggler.
Kvilda ist fast schon so etwas wie das Mallorca der Tschechien im Böhmerwald. Hier gibt es ein paar Hotels und Restaurants sowie einen kleinen Dorfladen und eine sehr gute Bäckerei. Das ist im tiefsten „Šumava“, wie der Böhmerwald hier genannt wird, eher die Ausnahme. Man kann wirklich extrem günstig wohnen, wenn man sich eine abgelegene Unterkunft auswählt. Für uns ist der gelegentliche Restaurantbesuch aber schon wichtig, daher sollte die Umgebung nicht komplett ausgestorben sein.
Sobald der Dauerregen einmal kurz aufhörte, strömten die Menschen eifrig auf die Straßen und spazierten im Dorf auf und ab, um sich bis zum nächsten Regenguss endlich mal die Beine zu vertreten. Hier trifft man vor allem Pärchen und junge Familien. Für Teenager ist es hier todlangweilig, obwohl sogar das Internet und das Handynetz besser funktionieren als manchmal bei uns im Rhein-Main-Gebiet.
Touristisch gibt es in Kvilda außer der meist geschlossenen Dorfkirche vor allem das Dorfmuseum zu bestaunen. Es hat übrigens eine professionelle und einfach vorbildliche Webseite, da könnten sich weit größere Museen eine Scheibe von abschneiden! Auf zwei Etagen werden die Geschichte und das Leben in dieser Gegend liebevoll und sehr ausführlich dargestellt. Mein Highlight als alter Pirat waren ganz klar die Schmugglergeschichten. Die meisten Infotafeln und Ausstellungsstücke sind außer in der Landessprache noch auf Deutsch beschriftet. Wer sich alles aufmerksam durchliest ist anschließend über sämtliche verwandtschaftlichen Beziehungen der Kvildaner zu ihren Nachbardörfern informiert.
Wie wir auf unserer späteren Reise in Richtung Prag noch erfahren sollten, ist nach der Aussiedlung (oder besser gesagt Vertreibung) der Deutschen aus dieser Grenzregion nicht mehr viel vom deutschen Erbe zu sehen. Da sich die Böhmerdeutschen damals unserem Adolf in glühender Verehrung an den Hals geworfen haben, ist die Vertreibung nach dem Krieg meiner Meinung nach vollkommen verständlich. Auf diesen Teil der Historie wird in Kvilda nicht größer eingegangen, dafür sollte man das Regionalmuseum von Český Krumlov besuchen. Dort sollten wir später noch hinfahren und ich kann jetzt schon sagen, dass dieses Städtchen die schönste Mittelalter-Altstadt hat, die ich jemals gesehen habe.
Wohnen im Teddy Aparthotel
Bei längeren Aufenthalten nächtigen wir gerne in einer Ferienwohnung. Immer nur Auswärts Essen geht ins Geld und leckere Sachen können wir uns auch selber kochen. Wer gerne Salate in allen Varianten isst, hat ansonsten auch wenig Möglichkeiten, auf seine Kosten zu kommen. Gerade in Slawischen Ländern sind die Restaurantgerichte schon sehr fleischlastig. Und so kann man durch Selbstverpflegung seiner Verdauung auch mal ein paar gesunde Ballaststoffe zuführen. Außerdem sind Ferienwohnungen oft günstiger als ein Hotelzimmer, man bekommt reichlich Wohnraum und man findet FeWo‘s mittlerweile in alle Lagen, ob zentral oder außerhalb.
In Kvilda ist das egal, die Dorfstraße ist vielleicht 500 Meter lang und links und rechts geht es steil nach oben. Mehr Dorf ist nicht vorhanden. So klebte unser Appartement im „Aparthotel Teddy“ direkt am Hang über dem kleinen Skigebiet, das Teil von Kvilda ist. Es gibt hier eine Hand voll kurzer Schlepplifte, die den Hang gut abdecken. Für die Zielgruppe der Touristen, die hierherkommen, ist das völlig ausreichend. Man macht mit seinen kleinen Kindern die ersten Skiversuche und rutscht zusammen ein wenig herum. Gegenüber der Piste befindet sich noch eine kleine Bar, für Après Ski ist also gesorgt.
Die Häuser des Ferienwohnungsanbieters „Teddy“ liegen nebeneinander auf dieser Anhöhe und bieten schön renovierte Wohnungen mit dem notwenigen Komfort. Es ist nicht Top of the Art, aber alles funktioniert und die Ausstattung ist ordentlich. Wer möchte, kann die Saunalandschaft stundenweise buchen, was allerdings sehr teuer ist und nur lohnt, wenn man eine größere Gruppe zusammenbekommt.
Im Böhmerwald ist Deutsch passé
Sprachlich ist es hier im Böhmerwald generell schwierig. Die jungen Leute sprechen gut Englisch und die alten können noch etwas Deutsch. Wer aber zu Sowjetzeiten geboren ist, der spricht nur Tschechisch und vermutlich auch Russisch, jedenfalls kein Deutsch. Aber zum Glück gibt es den Google-Übersetzer auf dem Handy! Ich habe mich lange nicht mehr so sehr über eine nützliche App gefreut wie in diesem Urlaub. Als Ergänzung zu Händen und Füßen ist die App sehr gut zu gebrauchen. Man spricht abwechselnd ins Handy und hat so wieder den guten alten Halbduplexbetrieb wie am Funkgerät. Aber nicht mehr lange und der Babelfisch wird Realität, Douglas Adams hat es immer schon gewusst…
Oder man nimmt mit der Kamera eine Speisekarte auf oder filmt die Auslage im Supermarkt und Schwupps, schon wird der Text ins Deutsche übersetzt. Einfach genial. Jetzt weiß ich auch, dass die Handyfilmer vor dem Kühlregal keine Geistesgestörten sind, sondern sehr wahrscheinlich nur Touristen. Vielleicht funktioniert das Tool sogar für Analphabeten, wenn es die Texte gleich vorliest, wer weiß.
Was tun in Kvilda bei Regenwetter?
Bei normalem Wetter, wenn es also mindestens drei Stunden Regenfrei gibt, dann reicht diese Zeit schon für einige kürzere Touren in die Umgebung. Aber was tun bei Dauerregen oder einem Tag, den man scheinbar in einer Wolke aus Nieselregen verbringt? Hier bieten sich folgende Aktivitäten an:
Ein Besuch des Heimatkundemuseums von Kvilda, wie oben schon beschrieben. Historie, alte Berufe, altes Kunsthandwerk, Land und Leute. Hinterher hat man so viel lokales Wissen aufgesogen, dass man eigentlich Kvildaner ehrenhalber werden müsste.
Danach mit dem Regenschirm auf den Friedhof hinter die Kirche und alte Grabsteine und Bestattungsbretter bewundern. Begräbnisrituale, Vertreibung der Böhmerdeutschen…
Ein Spaziergang zur Quelle der Moldau. Der Weg beginnt gleich hier im Dorf und man ist in gut 2 Stunden wieder zurück. Der Besuch dieser Quelle ist für alle Tschechen Pflichtprogramm, sozusagen das Mekka der tschechischen Seele. Mit guten Klamotten auch bei leichtem Regen zu schaffen. Dazu im Stream „Die Moldau“ von Smetana hören (geht ans Herz…). Viele Tschechen heißen übrigens wie sehr konkrete Dinge und „Smetana“ heißt lustigerweise „Sahne“.
Visite des Besucherzentrums Böhmerwald. Es befindet sich direkt an der Straße nach Horská Kvilda nördlich von Kvilda. Im Gebäude findet man ein paar Infotafeln zu Wald & Tier. Draußen gibt es einen Rundgang von einer halben Stunde mit den beiden Freigehegen von ein paar Elchen und einer Wildkatze. Die hat aber vermutlich noch niemand jemals lebend gesehen, wie man aus den Google-Bewertungen schließen kann. Wir auch nicht. Es gibt aber Fotos von der Katze im Besucherzentrum.
Zum Mittagessen ins „Hotel Rankl“ in Horská Kvilda. Dort kann man auch einen Rundweg entlangspazieren, aber nur bei schönem Wetter. Wohnen könnte man dort auch.
Bei nur wenig Regen könnte man sich auch einen Spaziergang mit Start in Modrawa entlang des malerischen Flüsschens Roklanski potok vorstellen. Dazu westwärts vom großen Schotterparkplatz loslaufen. Wenn der Regen zu stark wird, einfach umkehren. Wir hatten unsere Klappräder dabei und sind dem Regen einfach davon gefahren… ok, wir waren dann auch irgendwann durchnässt.
Abstecher zu den beiden Hochmooren Tříjezerní slať (Dreisee-Filz) und Chalupská slať (Großes Königsfilz, siehe Bild unten). Beide sind gut mit dem Auto zu erreichen und man läuft über Holzstege in ein paar Minuten zum Aussichtspunkt.
Fazit zu Kvilda im Böhmerwald
Wäre das Wetter Anfang August nicht so kalt und verregnet gewesen, hätten wir sicherlich längere Wanderungen gemacht. So haben wir es nie auf mehr als ausgedehnte Spaziergänge gebracht. Die Landschaft ist malerisch schön und zu dieser Jahreszeit kann man Himbeeren und Blaubeeren in Massen ernten. Das gilt eigentlich für die ganze Urlaubsreise in Richtung Prag. Unterkunft und Verpflegung sind lecker und günstig. Und wer als junge Familie unterwegs ist, kann hier sicherlich genug Action für die Kinder finden, ohne die Urlaubskasse übermäßig zu belasten. Etwas befremdlich fanden wir aber die Art, wie mit dem Nationalpark umgegangen wird. Einerseits darf man bei Todesstrafe die Wanderwege nicht verlassen. Sobald man eine Himbeere am Wegesrand pflückt, wird man von anderen Touristen zurechtgewiesen.
Andererseits hat man kein Problem damit, reichlich Spazierwege in die Landschaft hinein zu asphaltieren, anstatt Schotter oder ähnliches zu verwenden. Im Wald des Nationalparks und sogar in der innersten Zone verrichten große Forstmaschinen ihr Werk. Dort gleicht die Gegend einer Mondlandschaft. Tiefe Gräben zerfurchen den Boden und man fühlt sich eher in die Grube eines Braunkohle Tagebaus versetzt als in einen geschützten Nationalpark. Dass man heute keine Pferde mehr verwendet ist schon klar und auch, dass der Borkenkäfer sich hier ausgetobt hat ist nachvollziehbar. Aber sowas wie hier habe ich noch nicht einmal in den intensiv bewirtschafteten Wäldern des Taunus gesehen.
Doch das Schöne überwiegt, da sind wir uns einig. In etwa 5 Stunden sollte die Anfahrt zu schaffen sein und ehrlich gesagt fällt mir kein Grund ein, den Bayerischen Wald dem Böhmischen zu bevorzugen.